Tel Aviv Stories

Bilder: © Miklós Klaus Rózsa | photoscene.ch

Bettina Spoerri besucht seit Mitte der 1990er Jahre, als sie mehrere Monate in Israel lebte und an der Hebrew University in einem Immersion Course Iwrith zu lernen begann, das Land regelmässig. Die bunte Stadt Tel Aviv ist ihr dabei besonders ans Herz gewachsen. Seit 2017 durchstreifen wir zu zweit gemeinsam die spannungsvolle Stadt und entdecken immer wieder neue Facetten. Die Tel Aviv Stories in Texten und Bildern sind von diesen Streifzügen, von Beobachtungen, aber auch von Fantasien der Stadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner geprägt. Hier einige Einblicke in Form von kurzen Texten, literarischen Miniaturen, und visuellen Momenten.  

Der Geiger

Man hört ihn eigentlich gar nicht - der Lärm der Busse, der Autos und der Sirenen gibt nur manchmal ein paar Sekunden frei, in denen man ihn spielen hört. Bach, Mozart und Schalom aleichem, die Halbtöne schleifen quälend langsam ineinander. Sein Repertoire ist bescheiden, sein Gesicht grau. Und der schmutzige Geigenkasten vor ihm leer. Trotzdem steht er jeden Tag hier vor dem Dizengoff-Center, stundenlang, in der Sonne, mit einer speckigen Schirmmütze, im Regen unter den strahlenden jungen Gesichtern der neuesten Filmplakate und den fröhlichen, grellen Leuchtreklamen in der Dämmerung.

 

Verkehrter Kaffee

Zuerst fällt er mir nur auf, weil er einen Schritt und zwei zurück geht - dann streckt er dem Autofahrer seinen Styroporbecher entgegen; der aber bleibt leer. Der Mann dreht sich nicht weg, als die Abgase hinten aus dem losfahrenden Wagen stieben. - Ich sitze im warmen Cafe an der Strassenecke, trinke meinen „Hafuch“, das ist, wörtlich genommen, ein „verkehrter“ Kaffee. Und ich stelle mir vor, ich würde beim Zahlen plötzlich kein Geld mehr haben.

 

Kriege

Ich kann, sagt sie, mein Leben nach den Kriegen rekonstruieren: der Siebentagekrieg, da lebte ich in jener Wohnung dort und dort und ich erinnere mich genau an alles, oder der Yom-Kippur-Krieg oder der Libanonkrieg oder der Irakkrieg oder die erste Intifada oder die zweite Intifada... Sie lächelt mich herausfordernd an und streicht sich ihre langen dunklen Haare aus dem Gesicht: So ist das eben ...

 

Zachis Shabbat

Als er in den Hauseingang tritt und auf den Liftknopf drückt, weigert sich dieser, rot aufzuleuchten. Chezi begreift schnell: Frau Huberman hat wieder, Stunden vor Schabbatbeginn, den Türschliessmechanismus des Lifts im Haus lahm gelegt; dabei wohnt sie nur im zweiten Stock, und er im fünften ...

 

Alarmbereitschaft

Irgendwo geht eine Alarmanlage los, diesmal scheint es die eines Autos zu sein. Wie alle achtet Shimon nicht darauf, denn hier hört er jeden Tag mindestens zehn Alarmanlagen losgehen, von Autos oder von Geschäften; er stellt sich immer vor, dass die Diebe überall in Ruhe abräumen können, weil hier niemand mehr wegen einem Alarm die Polizei holt.

 

Ma pitom

Zachi nimmt die Zeitung und streckt Aron die abgezählten Schekel entgegen. Ma pitom, was machst du da?, fragt Aron scheinbar verärgert. Nimm schon!, sagt Zachi mürrisch. Ich hab dir doch gesagt, dass...: Arons Stimme steigt bis in den Sopran. Jetzt wird auch Zachis Stimme höher und dazu lauter: Nein, ich zahle für die Zeitung - und damit Schluss! So geht es hin und her, bis am Ende entweder Aron die Schultern zuckt und wie beleidigt meint: Wie du willst - aber das nächste Mal... Oder Zachi verabschiedet sich, indem er sich das Vordach seines Käppchens tiefer ins Gesicht zieht und wortlos weiter geht.

 

Bilder: © Miklós Klaus Rózsa | photoscene.ch